Haltung – unser Ritualverständnis

Rituale leben von beseelten Handlungen und Begegnungen – und von Erfahrungen mit allen Sinnen. Wir können gemeinsam einen Ablauf planen, doch am Ritual übernimmt es selbst die Führung, und es kommt zu oft stimmigen und bewegenden Überraschungen.
Rituale werden genährt von der persönlichen Hingabe an das Geschehen. Die Hauptpersonen und die Ritualgäste sind aufgerufen, loszulassen und ins Ritual hinein zu entspannen. Immer wieder erleben wir, wie das gemeinsame Singen und Musik alle Beteiligten in einen lebendigen, zeitlosen Raum einlädt. Rituale lassen mich neben der Pflichterfüllung und dem Funktionieren im Alltag Sinn und Tiefe erleben, klären Standpunkte und lassen mich neue Horizonte erblicken. Rituale haben oft eine klärende, erneuernde und heilende Kraft.
Wir schätzen einfache, erdige Rituale, getragen von gemeinsamem Tun und Erleben, von Singen und Musik – mit nicht allzu viel Wortbeiträgen unsererseits.

Für uns hat ein Ritual auch immer etwas damit zu tun, dass wir unterstützende Kräfte aus der unsichtbaren Dimension einladen, am Geschehen mitzuwirken. Dabei spielt es keine Rolle, welche Kräfte für jemanden unterstützend sind: Gott, Buddha, Allah, Schutzengel, Naturkräfte oder -geister, die vier Elemente, Ahnenseelen, Krafttiere, LehrerInnen aus andern Dimensionen, die eigene unversehrte Seele, ... Oft rufen wir diese Kräfte beim Singen eines Liedes oder im Stillen bei einer Ritualhandlung. In dem Sinne ist für uns ein Ritual auch immer ein Gebet, dass das Ritualanliegen gelingen möge.
 
An verschiedenen Seminaren (besonders mit Malidoma und Sobonfu Somé sowie Daan van Kampenhout) haben wir lebendige Ritualformen kennen gelernt, bei denen die Natur, das gemeinsame Singen, Trommeln und kreative Gestalten eine tragende Rolle spielen. Diese Art von Ritualen gefällt uns sehr, da alle Beteiligten zur Kraft beitragen können. Sie sind zwar von afrikanischer oder indianischer Stammestradition und systemischen Ansätzen inspiriert, passen jedoch sehr gut in unsere westliche Kultur, eignen sich für Menschen mit den verschiedensten spirituellen und kulturellen Hintergründen und sind in dem Sinn universell. 

Buchtipps betreffend Gemeinschaftsritualen:
  • Malidoma P. Somé «Die Weisheit Afrikas / Rituale, Natur und der Sinn des Lebens» (2001, Hugendubel / Diederichs)
  • Sobonfu E. Somé «In unserer Mitte / Kinder in der Gemeinschaft» (2000, Orlanda)
  • Sobonfu E. Somé «Die Gabe des Glücks / Westafrikanische Rituale für ein anderes Miteinander» (1999, Orlanda)

Das Ritual war immer eine der praktischsten und wirksamsten Methoden,
die vom Einzelnen und von der Gemeinschaft so dringend benötigte Heilung zu befördern. (...)
Bei rituellen Versammlungen benutzen die Menschen primär nichtverbale Mittel
und stimulieren dadurch ihr Seelenleben. (...)
Jedes Ritual hat zwei Teile. Der eine Teil ist geplant:
Die Menschen bereiten den rituellen Raum vor und durchdenken die Choreografie des Ablaufs.
Der andere Teil lässt sich nicht planen. (...)
Dieser unplanbare Teil ist eine spontane, unvorhersagbare Interaktion mit bestimmten Energiequellen.
Es ist die Antwort auf den Ruf einer nicht-menschlichen Dimension,
in einem grösseren Horizont aufzugehen.
Es ist wie bei einer Reise. Bevor einer aufbricht, besitzt er seine Reise.
Ist er einmal aufgebrochen, besitzt die Reise ihn.
Malidoma Somé in «Die Weisheit Afrikas»